Liebe Mutter, es geht mir gut by Margaret Millar

Autor:Margaret Millar [Millar, Margaret]
Die sprache: deu
Format: epub
veröffentlicht: 2013-12-09T00:00:00+00:00

Miss Clarvoe lag im Bett, den rechten Arm über ihrem Gesicht, als wollte sie sich vor dem Ansturm der Erinnerungen schützen. Die Zimmerdecke senkte sich auf sie herunter, die Wände zogen sich zusammen, bis sie sie umschlossen wie ein Sarg, eng, luftlos und für immer und ewig versiegelt. Und mit ihr eingeschlossen waren Aussprüche, Denksprüche ihres Lebens: Deine Strafe ist, so zu sein, wie du bist, und mit dir leben zu müssen. Ein Jammer, daß wir keine Tochter haben wie Evie.

8

Das Haus stand inmitten eines winzig kleinen, von einer Mauer umgebenen Gartens an der Kasmir Street in Westwood. Auf einer gravierten Karte in einem verglasten Einwurf oberhalb der Klingel las man: Mrs. Annabel Merrick, Miss Evelyn Merrick.

Das Haus hätte eines frischen Anstrichs bedurft, die Frau dagegen, welche auf Blackshears Klingeln die Tür öffnete, keineswegs. Sie hatte das Aussehen einer Bauersfrau, gedrungen, braungebrannt und rotwangig wie ein Apfel, doch ihre Kleidung war städtischen Ursprungs, ein elegantes, schwarz-weiß gestreiftes Jackenkleid, das auf auserlesen gediegene Unterwäsche schließen ließ.

»Mr. Blackshear?«

»Ja.«

»Ich bin Annabel Merrick.« Sie reichten sich die Hand. »Wollen Sie nicht hereinkommen? Ich mache gerade Frühstück. Falls Sie noch nicht gefrühstückt haben, schlage ich schnell noch ein Ei in die Pfanne.«

»Vielen Dank, ich habe schon gegessen.«

»Also dann wenigstens einen Kaffee.« Sie machte die Haustür hinter ihm zu und führte ihn durch das Wohnzimmer in die Küche. »Ihr Anruf so früh am Morgen hat mich sehr überrascht, das muß ich schon sagen.«

»Verzeihen Sie, wenn ich Sie aus dem Bett geholt haben sollte.«

»Oh, keineswegs. Ich arbeite doch, wissen Sie. Im Blumengeschäft des Hotels Roosevelt. Mögen Sie auch bestimmt kein Ei?«

»Nein, danke.«

»Ich bin nämlich seit einigen Jahren geschieden, und natürlich erhöhen sich die Alimente nicht entsprechend den Lebenshaltungskosten. Darum bin ich froh, eine Stellung zu haben. Irgendwie hat man nicht so sehr das Gefühl von Arbeit, wenn man den ganzen Tag von Blumen umgeben ist. Rittersporn ist meine Lieblingsblume. Der blaue, wissen Sie – na, himmlisch, einfach himmlisch!«

Sie brachte ihren Teller mit den Eiern und dem Toast zum Tisch und setzte sich Blackshear gegenüber. Sie schien vollkommen unbeschwert, als sei es das Natürlichste von der Welt, schon vor acht Uhr morgens fremde Männer zu Gast zu haben.

»Blackshear ist eigentlich ein komischer Name. Irren sich die Leute nicht einmal und nennen Sie Blacksheep?«

»Häufig sogar.«

»Hier ist Ihr Kaffee. Zucker und Sahne nehmen Sie sich lieber selber. Sie haben mir gar nicht gesagt, worin Ihre Tätigkeit besteht.«

»Aktien und Obligationen.«

»Aktien und Obligationen? Und da wollen Sie Evelyn sprechen? Ach, du Allmächtiger, da sind Sie aber an der falschen Adresse. Keine von uns ist in der Lage, auch nur einen Cent zu investieren. Ganz abgesehen davon, ist Evelyn im Moment auch noch ohne Stellung.«

»Das ist doch kein Grund, nicht mit ihr zu sprechen.«

»Wahrscheinlich nicht. Aber wie ich Ihnen schon am Telefon sagte, ist sie im Augenblick nicht hier. Sie ist für zwei oder drei Tage bei einer Freundin, deren Mann verreist ist. Ihre Freundin haßt es, nachts allein im Haus zu sein, und Evelyn ist jederzeit bereit, Menschen gefällig zu sein. So ist sie, das ist so ihre Art; und für Freunde würde sie alles tun.

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